Schon seit der Steinzeit, liebe Gäste, dient Helgoland Menschen als Heimat. Als Fischereihafen erlebt die Insel zur Hansezeit ihre erste Blüte. Ab 1807 gewinnt sie unter
britischer Herrschaft als Handelsplatz neue Bedeutung und entwickelt sich in der Folgezeit zum beliebten Reiseziel.
Das heutige Inselbild ist aber noch sehr jung. Nicht nur die Bauten, sondern auch die Landschaften sind Produkte des 20. Jahrhunderts. Helgoland, wie Sie es heute erleben,
wurde von Menschenhand geschaffen. Das beginnt schon zur Kaiserzeit mit der Anlage eines Marinehafens. Auch das während des Nationalsozialismus geschaffene Nord-Ost-Land entsteht aus militärischen Überlegungen. Die von der britischen Armee am 18. April 1947 gezündete größte nichtnukleare Sprengung aller Zeiten hinterlässt dann weite Teile der Insel als Kraterlandschaft.
Erst 1952 wird Helgoland wieder freigegeben. Damals steht hier aber kein Stein mehr auf dem anderen. Darum findet noch im selben Jahr ein deutschlandweiter Wettbewerb für die Neubebauung der Insel statt – allerdings soll es kein „Wieder“-Aufbau werden. Vielmehr werden die Zerstörungen als Chance angesehen, um alte Missstände zu beheben.
Sein neues Gesicht erhält Helgoland aus dem zeitgenössischen Ideal einer gegliederten Stadtlandschaft. Den verschiedenen Funktionsbereichen (Wohnen, Tourismus und
Gewerbe) werden klar abgegrenzte Baugebiete zugewiesen. Damit folgt die Neubebauung der „Charta von Athen“ von 1933. Und die Kriegsnarben der Landschaft werden als
Zeugen der Geschichte bewahrt – so erinnert das amorph geformte Mittelland bis heute an die Sprengung von 1947.
Die kubisch-knappe Formensprache der neuen Helgoländer Häuser wird vom Gedankengut des Bauhauses beeinfl usst. Das dort geprägte Streben nach Licht, Luft und Sonne schlägt sich in flächenminimierten, ost-west-orientierten Grundrissen nieder. Um aber räumliche Monotonie zu vermeiden, werden alle Straßenläufe leicht gebogen und durch verspringende Häuserfl uchten aufgelockert. Dadurch ergeben sich immer wieder spannende Durchblicke.
Mit ihrer hohen räumlichen Dichte erinnert die Neubebauung bewusst an das alte Helgoland. Zugleich sind die Häuser den herrschenden klimatischen Bedingungen
bestens angepasst. Denn die eng verschachtelten Gassen mit ihren Vor- und Rücksprüngen und die verwinkelte Dachlandschaft brechen die kräftigen Nordseewinde,
die hier auf Helgoland meistens wehen. Die von 1953 bis 1966 realisierten Neubauten atmen auch skandinavische Luft. Inspiriert von zeitgenössischer dänischer Architektur, zeichnen sich die Helgoländer Häuser durch scharfkantig geschnittene, plastisch geformte Baukörper mit asymmetrischen Giebeln aus. Auch Farben und Materialien sowie die quadratischen, flächenbündig eingesetzten Fenster entspringen diesem Vorbild. Damit bilden die Neubauten zugleich eine bewusste Antithese zum nationalsozialistischen Traditionalismus.